praxis ambiente

Heilsame Atmosphäre schaffen mit Ambiente und Musik

Schweigepflicht und therapeutische Ausbildung sorgen für ein geschütztes Umfeld. Doch genügt das, um bei den Patienten das Vertrauen zu gewinnen? Wie kann Ihre Praxiseinrichtung dazu beitragen, dass sich Ihre Patienten auf Ihre Therapie einlassen?

Die Menschen reagieren bewusst und unbewusst auf ihre unmittelbare Umgebung. Wie ist der Weg, der Eingang, der Raum beschaffen? Hierbei sind unterschiedliche Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Zuerst möchte ich das Sicherheitsbedürfnis ansprechen. Angstgesteuerte Menschen brauchen Sicherheit – getreu des englischen Sprichworts: „My home is my castle“. Fragen, die sie beschäftigen: Sind die drei Schlösser an der Haustür ausreichend? Brauche ich einen Zaun mit verschließbarem Tor um mein Haus herum? Brauche ich Beschützer (Hund, vertrauenswürdige Personen)? Habe ich die Haustür abgeschlossen? Sind das Bügeleisen und der Herd aus? Kann mich der Nachbar durch das Fenster beobachten? Wie ist mein Fluchtplan, falls ein Eindringling kommt? Habe ich einen Fluchtweg, einen Sicherheitsraum?  Kann ich mich unters Bett verkriechen, oder ist genug Platz im Schrank, wo ich mich verstecken kann?

Wenn sich Ihre Patienten mit solchen Fragen beschäftigen, was bedeutet das für die Praxisräume? Wie können Sie durch die Einrichtung Sicherheit vermitteln? Eingangsbereich, Wartezimmer und Therapieraum – überall sollte ein guter Überblick gegeben sein und für die Patienten eine Sitzposition gewählt werden können, von der aus es möglich ist, Ein- und Ausgänge im Blick zu haben. Eine tür- und fensterfreie Wand bietet sich als Gesprächsplatz an. Auch ein Fluchtweg (2. Tür oder Fenster)aus der Praxis sollte erkennbar sein. Hier bekommt das Hinweisschild „Notausgang“ mit Pfeil eine andere Bedeutung.

Damit die Patienten sich Ihnen gegenüber öffnen und sich zu ihren Gedanken äußern, möchten Sie natürlich Vertrauen und eine vertraute Atmosphäre schaffen. Hier hoffen die Patienten auf Verständnis, möchten sich verstanden fühlen. Neben dem Sicherheitsbedürfnis sind jetzt auch alle anderen Sinne gefragt, die einen Anknüpfungspunkt zu vertrauten Gerüchen, Tönen und Farbe bieten können. Wenn zum Beispiel die Lieblingsfarbe einer Patientin Blau ist und im Therapieraum irgendetwas Blaues (Polsterung der Möbel, Vorhänge, Wandfarbe) vorhanden ist, dann hat die Patientin einen Ankerpunkt, auf den sie schauen kann, wenn sie sich selbst stabilisieren möchte. Ähnlich geht es mit anderen Sinnen, Formensprache, Haptik, Materialien, Akustik.

Was bedeutet das für die Einrichtung Ihres Therapieraums?

Ohne das Maß zu verlieren, sollte eine möglichst große Auswahl an Farben, Formen und Gestaltungen angeboten werden – und das kann sich auch in Symbolen und Miniaturen wiederfinden. Wenn Wände, Möbel, Fenster, Vorhänge alle weiß sind, macht das einen sauberen, aber vielleicht auch einen sterilen und fantasielosen Eindruck. Ein farbiges Bild oder ein Band (Tuch) mit allen Regenbogenfarben kann schon genügen, um das Bedürfnis nach der Lieblingsfarbe zu stillen.

Clever einrichten – das haben natürlich auch längst Innenarchitekten bei der Einrichtung von Geschäftsräumen entdeckt. Sie können vielleicht davon etwas in Ihre Praxis übernehmen:

„Die Bremszone: Von großer Bedeutung ist der Eingangsbereich eines Geschäfts. Der Kunde soll im Eingang bereits das Tempo verlangsamen, um dann im Laden gemütlich möglichst lange shoppend zu verweilen. Das wird durch verschiedene Faktoren erreicht: Zum einen werden hier schon mal erfreuliche und günstige Waren platziert (Wassermelonen im Sonderangebot, Schnittblumen), zum anderen wird hier bewusst auf aggressive Werbemaßnahmen verzichtet. Sie sind ja schon da. Glänzende Bodenbeläge sorgen dafür, dass Sie sich vorsichtiger bewegen und entschleunigen.“ (managermagazin, 10.1.2019)

„Denselben verlangsamenden Zweck verfolgt die Musik, die vorzugsweise mit 72 Schlägen pro Minute aus den Lautsprechern dringt, was der menschlichen Ruhepulsfrequenz entspricht. Flauschige Teppichböden oder spiegelglatte Oberflächen dienen auch nur dazu, aus eiligen Kunden langsame Kunden zu machen. Denn wer schlendert, nimmt die Waren besser wahr. Und hat mehr Zeit, spontan zuzugreifen…Direkt hinter Eingang und Bremszone folgen Obst und Gemüse. Zufall? Natürlich nicht. Die marktähnliche Atmosphäre wirkt einladend. Es gibt sogar eine Duftsäule, die Fruchtaroma und Nebelfrische verströmt. Jetzt soll der Kunde allmählich mal anfangen, seinen Einkaufswagen zu beladen.“ (https://www.zeit.de/2012/24/Verkaeufer-Supermarkt/seite-2)

Als Beispiel möchte ich hier den Powernap-Raum „Timeout-Zone“ anfügen, den ich in Kooperation mit einem Team bei Bosch Engineering 2012 eingerichtet habe. Hier ein Video dazu: Link Video Bosch.

Regenerationsraum Bosch
Entschleunigungs-Großraum bei Bosch Engineering in Abstadt

Der Wartebereich in den Praxen ist häufig ein Stiefkind in der Gestaltung, manchmal mangelt es an den räumlichen Bedingungen, bisweilen richtet sich die Aufmerksamkeit mehr auf den Therapieraum. Aber wenn es sinnvoll ist, dass auch der Patient entschleunigt, bevor er zur Therapiestunde kommt, hilft neben dem Eingangsbereich sicher auch ein passend eingerichtetes Wartezimmer. 

Mentale Ablenkung und Anregung durch Rätsel

Bei psychischer Anspannung drehen sich die Gedanken oft um die akuten Probleme. Um daraus auszubrechen, hilft oft eine Anregung von außen. Wenn im Wartezimmer ein Bild schief hängt, oder ein Rahmen ohne bildnerischen Inhalt an der Wand hängt, kann der Betrachter von seiner Problematik abgelenkt werden und den Fokus darauf richten, das Bild gerade zu hängen oder sich fragen, warum da kein Bild im Bilderrahmen ist. Oder warum der Horizont schief ist, wenn das Bild gerade hängt? Der Ausdruck „Reframing“ aus der Psychotherapie erhält eine sehr konkrete Bedeutung.

reframing

Ambiente

Ambiente ist der Raum um uns herum, den ich mit meinen Sinnen erfassen kann, oder das Milieu (italienisch: ambiente), das uns als Person umgibt (Person aus dem Lateinischen: per-sonare für „durchtönen“).

Ambiente der Sinne

Mit den oben dargestellten fünf Sinnen wird die Umwelt erfasst und ein Urteil gebildet. Die Entscheidung, ob sich jemand wohl fühlt oder eher Angst hat, Erinnerungen zulässt und sich auf die Gespräche einlassen kann, werden von allen Sinnen mit beeinflusst. Im Folgenden einige Hintergründe und Hinweise dazu:

Visuelle Wahrnehmung

Hier muss zwischen Licht und Farbe unterschieden werden. Es macht einen großen Unterschied ob ich zum Beispiel eine rote Lampe verwende oder die Wände rot streiche. Bei grünem Licht schaut das Gesicht des Menschen krank aus. Grüne Wände werden aber mit saftigen Wiesen und Wäldern und gesunder Natur assoziiert.

  •  Licht

Licht hat eine Lichtquelle (Sonne, Lampe, Kerze, Feuer) und breitet sich wellenförmig aus, bis es auf Materie trifft, die dieses Licht reflektiert. Im Sonnenlicht ist das ganze Farbspektrum enthalten. Darauf hat sich der Körper seit Jahrtausenden eingestellt. Es hat ein breites und kontinuierliches Strahlungsspektrum von violett (380nm) bis rot (780nm). Trifft das Sonnenlicht auf die Haut, kann diese körpereigenes Vitamin D herstellen. Vitamin D ist gesundheitsfördernd und stärkt das Immunsystem.

Es gibt Tageslicht-Vollspektrum Lampen, die dem natürlichen Lichtspektrum sehr nahe kommen. Andere Lichtquellen haben oft nur einen kleinen Ausschnitt des Lichtspektrums. Neu sind qualitativ hochwertige LED-Tageslicht-Lampen und -Röhren. Mit einem Spektrometer kann man das Farbspektrum der Lampen sichtbar machen. Siehe auch: Artikel gesundes Licht

  • Farbe

Farbe wird vom Auge des Betrachters erkannt, wenn Licht eines bestimmten Farbspektrums reflektiert wird. Eine Pflanze zum Beispiel verarbeitet das Sonnenlicht in der Photosynthese in Energie, außer dem grünen Lichtspektrum. Dieses wird reflektiert und wir sehen die Pflanze in Grün.

Farben haben auch psychologische Effekte, es gibt vielerlei Farbenlehren, die bekannteste von Goethe, jedoch wurden diese Theorien wissenschaftlich nicht bewiesen. Hier ein paar Anregungen dazu:

Bei Rot schüttet der Körper Adrenalin aus. Der Blutdruck steigt und das Herz schlägt schneller, dadurch entsteht Wärme. Rot steht für Tatendrang, Liebe, Freude, Leidenschaft. Zuviel Rot kann auch Nervosität, Unruhe und Hyperaktivität auslösen bis hin zu Wut, Zorn und Gefahr („Man sieht rot“).

Bei Orange fühlt man sich zumeist wohl und es kann die Kommunikation fördern. Es wirkt freundlich und optimistisch. Das Wärmegefühl ist etwas weniger ausgeprägt als bei rotem Licht.

Gelb wird häufig mit Sonnenlicht assoziiert. Es ist förderlich für Kreativität, Konzentration und Lebensfreude.

Grün erinnert an eine kräftige Natur, wirkt beruhigend, entspannend und erholend.

Bei Blau schüttet der Körper Melatonin aus. Der Blutdruck sinkt, die Atmung wird langsamer, der Körper ruhiger und es entsteht ein Kältegefühl. (Siehe auch https://www.oberbergkliniken.de/artikel/die-macht-der-farben)

Jeder hat seinen individuellen Farbgeschmack: Sehe ich meine Lieblingsfarbe im Raum?

Auditive Wahrnehmung

Einen möglichst ruhigen Raum schaffen ist oberstes Gebot. Dazu zählt auch ein Schallschutz innerhalb der Praxis, damit Gespräche nicht von anderen Besuchern im Flurbereich mitgehört werden können. Die Ruhe kann durch Naturgeräusche wie Wind in den Blättern bei geöffnetem Fenster oder Wasserplätschern unterstützt werden.

Taktile Wahrnehmung

Ansprechende Materialien sollten -soweit möglich und hygienisch vereinbar- verwendet werden. Wenn der Praxisraum ohne Schuhe betreten werden soll, braucht es einen warmen Holzuntergrund oder Teppich, der Sitzplatz sollte bequem und haptisch erfahrbar sein. In der Kindertherapie steht die Haptik insbesondere in der Sandspieltherapie und Kunsttherapie im Vordergrund. Kleine Sandspiele können auch in der Arbeit mit Erwachsenen in Form von Zen-Gärten in Miniaturformat angeboten werden.

Olfaktorische Wahrnehmung

Verständlicherweise ist eine gute Lüftung Voraussetzung für wache Arbeit sowohl beim Therapeuten als auch beim Patienten. Es ist darauf zu achten, dass Gerüche, seien es Blumen oder auch das Parfüm der Therapeutin, dezent eingesetzt werden.

Gustatorische Wahrnehmung

Dieser spielt bei der Ausstattung nur eine untergeordnete Rolle, das Anbieten von Tee oder Wasser im Wartebereich kann beruhigend wirken und ein zusätzliches Willkommen signalisieren.

Atmosphäre

Ich möchte das Ambiente noch um ein Umfeld erweitern und dies als Atmosphäre bezeichnen. Atmosphäre bezieht noch Klima, Orientierung, Sicherheitsbedürfnis, Sozialsinn und Heimat mit ein.

heilsame atmosphäre
heilsame Atmosphären

Klima:

  1. Luft und Geruch

Gemeint ist hier das Raumklima. Gute Luft, Durchatmen können, Duft nach Frische können begünstigt werden mit einer relativen Luftfeuchtigkeit von 40 bis 50 Prozent. Die Messgeräte können im Handel ab circa 6 Euro erworben werden. Da warme Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann als kalte, wird immer die relative Luftfeuchtigkeit gemessen in Relation zur Temperatur. Um einen Raum zu entfeuchten, sollte man die Raumluft erst erwärmen und dann lüften. (zum Beispiel sollen Keller nur gelüftet  werden, wenn es draußen kälter ist als drinnen).

  • Temperatur

Eine gute Raumtemperatur verstärkt das Gefühl des Aufgehobenseins. Da die gefühlte Temperatur individuell unterschiedlich ist und sich je nach Thema beim Patienten sehr schnell ändern kann, bietet es sich an, eine Decke im Raum griffbereit zu haben.

  • Pflanzen

Pflanzen können klimaausgleichend sein. Sie vermitteln Natur, Natürlichkeit und frische, gesunde Farben. Topfpflanzen sind, wenn möglich, Schnittblumen vorzuziehen, so schön ein Blumenstrauß wirken kann -diese sind entwurzelte, sterbende Pflanzen.

  • Licht

Helle, lichtdurchflutete Räume sind sicherlich nicht immer eine Grundausstattung, mit warmen Farben und guter Lampenwahl kann unterstützt werden. Es sollten keine dunklen Ecken zu finden sein.

Orientierung

Die Orientierung behalten hilft beim Wohlfühlen. Die Anordnung der Räume sollte so gestaltet sein, dass jeder sich leicht zurechtfindet. Hinweisschilder, Beschriftungen der Türen, farbige Pfeile oder Fußabdrücke auf dem Boden oder auch unterschiedliche Farben an den Wänden helfen, über Unsicherheiten hinwegzukommen. Orientierungsdesign (Signaletik) und intuitives Leitsystem werden in größeren Praxen ein Muss.

Sicherheitsbedürfnis

Durch die Architektur der Praxis stellt sich die Frage nach dem Sicherheitsbedürfnis. Ein trutziger Altbau kann mit seinen dicken Mauern Standfestigkeit und Sicherheit vermitteln – aber auch, wenn er nicht gepflegt ist, Einsturzgefahr und Überalterung.  Ein Neubau zeigt vielleicht Beliebigkeit und Unsicherheit, wenn er über hellhörige dünne Wände verfügt, aber er kann auch Modernität und Zukunftsorientiertheit symbolisieren. Sichtbare Holzbalkendecken und Säulen erhöhen das Sicherheitsgefühl – hier kann nicht die Decke auf den Kopf fallen. Freischwebende Deckenkonstruktionen, deren Statik nicht sichtbar ist, bewirken das Gegenteil.

Sozialsinn

In der therapeutischen Behandlung erlebt der Patient einen zugewandten Menschen, der sich für ihn interessiert, ihm aktiv zuhört, eine zeitweilige intensive Beziehung zu ihm eingeht. Die Praxis wird zum Raum, in dem man lachen und weinen, reden und schweigen kann.

Heimat

Heimat beschreibt die Beziehung zwischen Mensch und Raum (Territorium). Hier haben die ersten Sozialisierungsprozesse stattgefunden, die die Identität, den Charakter, die Mentalität und Einstellungen sowie Weltauffassungen prägen. Die therapeutische Behandlung ist häufig der Versuch, zu den ersten und positiven Prägungen der Identität zu gelangen, sich seines Charakters bewusst zu werden und seine Einstellungen zu prüfen und zu verifizieren. Assoziationen – durch die unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen ausgelöst – an Heimat ermöglichen, im Raum anzukommen, sich einzulassen.

Ausklang

Soweit die Sammlung unterschiedlicher Faktoren, mit der sich das Ambiente gestalten läßt und somit auch heilsame Atmosphären entstehen können. Dies soll als Anregung dienen und bei der Planung und Gestaltung der Räumlichkeiten hilfreich sein. Das Thema Musik werde ich in einem gesonderten Artikel in Kürze aufzeigen. Caspar Harbeke, April 2020

Literatur:
Spitzer, Manfred: (2006): Musik im Kopf, Schattauer Verlag,
Jan Sonntag: „Demenz und Atmosphäre“, Mabuse Verlag 2013
Prof. Stefan Kölsch: „Good Vibrations – Die heilende Kraft der Musik“, Ullstein Verlag Berlin, 2019
Stephen W. Porges: „Die Polyvagaltheorie und die Suche nach Sicherheit“, Probst Verlag Lichtenau 2017
https://www.oberbergkliniken.de/artikel/die-macht-der-farben